Zwei Forscherinnen holen Blutproben aus dem Labor-Gefrierschrank

Wie Vorerkrankungen den COVID-19-Verlauf beeinflussen

Die COVID-19-Pandemie hat es gezeigt: Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf eine Infektion mit SARS-CoV-2. Während die einen gar keine oder nur wenige Symptome zeigen, erkranken andere schwer. Wie das Team um Dr. med. Stefanie Kreutmair nun nachgewiesen hat, können Vorerkrankungen – besonders jene der Niere – auf schwere Verläufe hinwiesen.

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Prof. Dr. Burkhard Becher
Institut für Experimentelle
Immunologie an der
Universität Zürich
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Das Virus macht keine Pause

Sommer 2022: Mit den steigenden Zahlen der Corona-Neuinfektionen wächst der Druck auf Kliniken und Gesundheitsbehörden wieder. Und auch die Wissenschaft ist nach wie vor gefragt. Am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich arbeiten die Forschungsteams seit Beginn der Pandemie unter Hochdruck an der Frage, wie sich eine Infektion mit SARS-CoV-2 auf das Immunsystem des Menschen auswirkt. Konkret wollen sie behandelnde Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken mit neuen Erkenntnissen unterstützen. Denn: Das Virus macht keine Pause.

Diese Allianz von Grundlagenforschung und Klinik hat sich bereits im vergangenen Jahr bewährt. Innert kürzester Zeit konnten die Forschenden der Universität Zürich einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung von COVID-19 leisten, indem sie einen Biomarker entdeckten, der schon bei der Aufnahme ins Spital Hinweise auf einen schweren Verlauf geben kann. Als Biomarker erwiesen sich in diesem Fall spezielle T-Zellen im Blut. Dabei handelt es sich um eine besondere Klasse weisser Blutzellen.

Ein Computer in einem Forschungslabor

Wo zu Beginn des Jahres 2020 alles begann.

Immunzellen bekämpfen Eindringlinge

Doch die Abwehr gegen das Virus ist bei jedem Menschen anders. Je nach Person zeigt sich eine unterschiedliche Anzahl der speziellen T-Zellen im Blut. Regulär bekämpfen diese Immunzellen Eindringlinge, indem sie zum Beispiel infizierte Zellen abtöten. Manche COVID-19 Patienten weisen nur sehr wenige dieser T-Zellen auf, was auf eine Störung in der Immunabwehr hindeutet; es kann zu einem schweren Krankheitsverlauf kommen. Diese Zusammenhänge konnte das Team von Prof. Dr. Burkhard Becher und Dr. med. Stefanie Kreutmair vom Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich zusammen mit Forschenden aus Tübingen, Toulouse und Nantes bereits Mitte 2021 feststellen.

Nierenerkrankung bedeutet höheres Risiko

Stefanie Kreutmair ist Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am Universitätsspital Zürich und sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Klinik beheimatet. Gemeinsam mit ihrem Team ist sie jetzt – Mitte 2022 – noch einen Schritt weitergekommen. «Während der Pandemie haben wir gesehen, dass ältere Patientinnen und Patienten und jene, die bestimmte Vorerkrankungen haben, in der Regel einen schwereren Verlauf erleben als andere», sagt sie. «Wir sind daraufhin der Frage nachgegangen, ob diese Personen nicht nur eine geringere Anzahl der speziellen T-Zellen aufweisen, sondern jeweils auch noch eine andere – der Vorerkrankung geschuldete – Immunantwort entwickeln.»

Stefanie Kreutmair erhält Theodor-Frerichs-Preis

Anerkennung für ihre Forschung zu COVID-19: Stefanie Kreutmair erhielt den Theodor-Frerichs-Preis 2022.

Mithilfe computergestützter Analysen konnten Kreutmair und ihr Team die Daten von über fünfzig COVID-19-Patientinnen und -Patienten sowie 121 Proben auswerten und so nachweisen, dass Personen mit Nierenerkrankungen ein deutlich höheres Risiko hatten, einen schweren COVID-19-Verlauf zu entwickeln als andere. Es war sogar 16-mal höher als bei Patienten ohne Vorerkrankung und 8-mal höher als bei Patienten mit einer anderen Vorerkrankung. «Wir entdeckten charakteristische Immunsignaturen, die nicht nur mit der Schwere der COVID-19-Erkrankung, sondern auch mit Vorerkrankungen assoziiert sind», sagt Stefanie Kreutmair. Damit hat das Team eine Pionierleistung vollbracht, denn zuvor war dieses Phänomen in dieser Deutlichkeit nicht nachgewiesen worden. Je besser man die jeweils individuellen Warnsignale des Immunsystem verstehe und interpretieren könne, desto spezifischer könne darauf reagiert werden, sagt Kreutmair weiter. Für Fachpersonen, die Betroffene behandeln, sind diese Erkenntnisse direkt praxisrelevant. Sie können die Warnzeichen bereits am Tag des Spitaleintritts erkennen und entsprechende Vorkehrungen treffen.

Preisgekrönte Arbeit

Für die Analyse der Immunsignaturen von COVID-19-Patienten erhielt Stefanie Kreutmair im Mai den Theodor-Frerichs-Preis 2022. Der hoch angesehene Preis ist mit 30 000 Euro dotiert.
Link zur Studie von Dr. med. Stefanie Kreutmair

Zürcher Forschungsteam Biomarker COVID-19

Burkhard Becher mit seinem Team am Campus Irchel in Zürich (v.l.: Carla Helena Merten, Jonas Schmid, Susanne Unger, Jenny Kienzler, Stefanie Kreutmair, Burkhard Becher, Laura Power, Aakriti Sethi, Maximilian Schaefer, Nicolás Gonzalo Núñez, Sinduya Krishnarajah. Nicht anwesend: Chiara Alberti, Sara da Costa Pereira, Florian Ingelfinger, Donatella De Feo, Dimitri Anderfuhren, Juan Manuel Villar Vesga, Tobias Wertheimer).

Wie wirken unterschiedliche Impfstoffe?

Die Immunologen Dr. Nicolas Nunez und Jonas Schmid, die beide ebenfalls am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich im Team von Burkhard Becher und zusammen mit Stefanie Kreutmair forschen, arbeiten an einem weiteren Strang der Immunforschung; sie wollen die Reaktionen des Immunsystems auf Impfungen verstehen.

Die Forscher hatten das Glück, auf Daten aus Argentinien zugreifen zu können. Dort waren bereits früh mehrere COVID-19-Impfstoffe zugelassen. Da Nunez mit Forschenden an der Universität Córdoba in Argentinien zusammenarbeitet, konnte er mit Erlaubnis des dortigen Gesundheitsamts Proben von Geimpften für Forschungszwecke auswerten. So bekam der Immunologe bereits ab Dezember 2021 Blutproben von ca. 500 Patientinnen und Patienten aus Argentinien, die mit vektorbasierten-, mRNA- oder Totimpfstoffen immunisiert wurden.

«Wir haben eine solide Datengrundlage von insgesamt 800 Proben von Erst- und Zweitimpfungen», sagen die beiden Immunologen. Insgesamt sind es 16 Kombinationen, bei denen teils für die erste und zweite Dosis unterschiedliche Impfstoffe verwendet wurden. Nunez und Schmid analysieren nun die Proben auf Einzelzellebene mithilfe der Durchflusszytometrie. Anschliessend werten sie die Daten mit Computer-Algorithmen aus. Unterstützt werden sie dabei von der Bioinformatikerin Laura Power. Die Forschenden erwarten neue Erkenntnisse, die zukünftige Impfstrategien massgeblich beeinflussen könnten.

Forschungsteam untersucht verschiedene Impfstoffe

Laura Power, Nicolás Gonzalo Núñez und Jonas Schmid (v.l.) untersuchen die Wirksamkeit von unterschiedlichen Impfstoffen.

Das Biomarker-Team im Labor
Kontrolle der Blutproben
Nachwuchsforscherinnen diskutieren die Ergebnisse im Labor
Nachwuchsforscherinnen im Labor bei der Arbeit
Das Biomarker-Team im Labor
Kontrolle der Blutproben
Nachwuchsforscherinnen diskutieren die Ergebnisse im Labor
Nachwuchsforscherinnen im Labor bei der Arbeit
Im Gespräch mit...

Hören

Stefanie Kreutmair (Sommer 2022)

«Besonders gefährdet sind Personen mit chronischer Nierenerkrankung»

Dr. med. Stefanie Kreutmair ist Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am Universitätsspital Zürich und leitet das Forschungsprojekt am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Stefanie Kreutmair
4:26

Laura Power (Beitrag in Englisch, Sommer 2022)

«Der grosse Datensatz ermöglicht uns, wichtige Fragen zu Impfstoff-Kombinationen zu beantworten»

Dr. Laura Power ist Postdoc am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

3:25

Nico Nunez (Beitrag in Englisch, Sommer 2022)

«Unsere Kohorte für diese Impfstoff-Studie ist einmalig»

Dr. Nico Nunez ist Postdoc am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Nico Nunez
2:51

Jonas Schmid (Sommer 2022)

«Wir wollen wissen, wie das Immunsystem auf verschiedene Impfstoffe reagiert»

Jonas Schmid ist Doktorand am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Jonas Schmid
3:58

Burkhard Becher (Juli 2021)

«Uns ist es gelungen, therapeutische Angriffspunkte zu identifizieren»

Prof. Dr. Burkhard Becher ist Professor am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Burkhard Becher
7:26

Stefanie Kreutmair (Juli 2021)

«Ich wollte etwas zur Bekämpfung der Pandemie beitragen»

Dr. med. Stefanie Kreutmair ist Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie am Universitätsspital Zürich und leitet das Forschungsprojekt am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Stefanie Kreutmair
5:26

Chiara Alberti (Beitrag in Englisch, Juli 2021)

«Unsere Resultate zeigen, wie wichtig es ist, die Behandlung auf die einzelnen Patientinnen und Patienten abzustimmen»

Dr. Chiara Alberti ist Postdoc am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Chiara Alberti
4:49

Nico Nunez (Beitrag in Englisch, Juli 2021)

«Wir haben mit Patienten­proben aus verschiedenen europäischen Ländern gearbeitet»

Dr. Nico Nunez ist Postdoc am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Nico Nunez
3:52

Susanne Unger (Juli 2021)

«Wir wollten schwere Verläufe von Covid-19 anhand von Blut­proben vorhersagen können»

Dr. Susanne Unger ist Postdoc am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich.

Susanne Unger
4:11
Von der Forschung in die Praxis

Service

Long-COVID: Sprechstunde am USZ
Individuelles Long-COVID-Risiko: Einer Forschungsgruppe unter der Leitung von Professor Onur Boyman, Klinikdirektor für Immunologie am Universitätsspital Zürich, ist es gelungen, mittels eines Modells das Risiko einer Long-COVID-Erkrankung besser vorherzusagen. (Der Test setzt voraus, dass bestimmte Werte (z.B. Immunglobulin-Wert des Blutes) bekannt sind)
Universitätsspital Zürich: Corona-Test und Impfung
Universitäts-Kinderspital Zürich: Corona-Test und COVID-19-Impfung

Wichtige Begriffe, kurz erklärt

Glossar

Biomarker:
Für die Medizin messbare Parameter biologischer Prozesse mit prognostischer oder diagnostischer Aussagekraft, die daher als Indikatoren beispielsweise für Krankheiten herangezogen werden. Sie sind charakteristische biologische Merkmale, die objektiv gemessen werden können und auf einen normalen biologischen oder krankhaften Prozess im Körper hinweisen können. Bei einem Biomarker kann es sich um Zellen, Gene, Genprodukte oder bestimmte Moleküle wie Enzyme oder Hormone handeln.

Durchflusszytometrie:
Die Durchflusszytometrie (Zytometrie = Zell-Vermessung) ist ein Messverfahren, das in der Biologie und in der Medizin zur Anwendung kommt. Es erlaubt die Analyse von Zellen, die in hoher Geschwindigkeit einzeln an einer elektrischen Spannung oder einem Lichtstrahl vorbeifliessen.

Hämatologie:
Die Lehre vom Blut und seinen Bestandteilen.

SARS-CoV-2:
Die Coronaviren bilden eine Virenfamilie und können unterschiedliche Erkrankungen auslösen. Momentan sind beim Menschen sieben verschiedene Coronaviren bekannt. Das aktuelle Coronavirus heisst offiziell SARS-CoV2. Die Erkrankung, welche durch eine SARS-CoV2-Infektion ausgelöst wird, heisst COVID-19.

Vektorbasierter Impfstoff:
Genetische Informationen des Virus werden in ungefährliche Adenoviren (Vektor = Träger) eingebracht. Im Körper stimulieren diese eine Immunantwort, lösen aber keine Erkrankung aus.

mRNA-Impfstoff:
Es werden lediglich Fragmente des genetischen Virusmaterials, die sogenannte Boten-RNA, injiziert. Die menschlichen Zellen lesen diese Boten-RNA ab und stellen daraus selber Virusbestandteile her. Das Immunsystem reagiert auf diese Bestandteile und bildet Antikörper.

Totimpfstoff:
Totimpfstoffe – oder inaktivierte Impfstoffe – bestehen aus abgetöteten Krankheitserregern. Der Körper erkennt diese als fremd und bildet zur Abwehr Antikörper.

Wer finanziert dieses Forschungsprojekt mit? (in Mio. CHF)

The LOOP Zurich - Medical Research Center
Vontobel-Stiftung
Die Laufzeit der Projektförderung
dauert von 2020 bis 2022

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Credits