Universitäre Medizin Zürich (UMZH)

Darmbakterien, die smarten Helfer gegen Krebs

Die Zusammensetzung der Darmflora kann darüber entscheiden, ob eine Immuntherapie bei Krebserkrankungen erfolgreich ist oder nicht. Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich und des Universitätsspitals Zürich bündeln ihre Kräfte im Mikrobiom-Projekt: Das schlagkräftige Team besteht aus Gastroenterologinnen, Dermatologen und Onkologinnen, die die Mechanismen entschlüsseln wollen, die das Immunsystem stärken und so dem Krebs die Schranken weisen.

Status: Forschung läuft
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Prof. Dr. med. Michael Scharl
Leitender Arzt an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsspital Zürich
und Professor für Translationale Mikrobiomforschung
der Universität Zürich
+41 44 255 34 19
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Genesene spenden ihren Stuhlgang

Am Universitätsspital in Zürich trifft sich Marianne Schütz* mit dem Gastroenterologen Prof. Dr. med. Michael Scharl zu einer Besprechung. Sie ist eine von fünf ausgewählten ehemaligen Krebspatientinnen und -patienten, die im Cancer-Microbiome-Projekt des Comprehensive Cancer Center Zurich eine wichtige Rolle spielen. Bei Marianne Schütz wurde vor fünf Jahren Hautkrebs diagnostiziert, sie erhielt eine Immuntherapie, seither ist sie tumorfrei. Die Immuntherapie – eine so genannte Immun-Checkpoint-Blockade – hat bei ihr angeschlagen. Bei dieser Therapie tötet man – anders als bei der Chemo- oder Strahlentherapie – den Tumor nicht ab, sondern bringt das Immunsystem gegen den Tumor in Stellung, indem bei den Immunzellen eine ‘Bremse’ gelöst wird, so dass sie aggressiver gegen die Tumorzellen vorgehen können.

Michael Scharl ist Professor für Translationale Mikrobiomforschung der Universität Zürich und Gastroenterologe am Universitätsspital Zürich. Er geht davon aus, dass zusätzlich zur Immuntherapie die Mikroorganismen im Darm von Marianne Schütz dabei geholfen haben, den Krebs zu überwinden. Das macht sie nun zu einer Spenderin, denn die Zusammensetzung ihrer Darmflora, ihres Mikrobioms, könnte anderen Krebskranken helfen, die nicht oder zu wenig auf die Immun-Checkpoint-Blockade reagieren. Die Transplantation der Bakterien einer fremden Person in den eigenen Darm nennen Fachleute auch Fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT). In kleinen Pilotstudien konnte gezeigt werden, dass die Stuhltransplantation die Therapie bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem schwarzem Hautkrebs unterstützen kann. Im Cancer-Microbiome-Projekt will man nun der Sache auf den Grund gehen.

Michael Scharl beschreibt das Ziel des Projekts wie folgt: «Wir wollen die massgebenden Bakterien und molekularen Mechanismen zwischen Mikrobiom und Immunsystem entschlüsseln, um die Durchschlagskraft von Immuntherapien gegen Krebs zu erhöhen.» Um das zu erreichen, sind am Universitätsspital in Zürich Stuhltransplantationen bei Patientinnen und Patienten mit Haut-, Lungen- und anderen Krebsarten geplant, die – anders als Marianne Schütz – nicht auf eine Immuntherapie angesprochen haben. In einer ersten Etappe, die im Juli 2022 beginnt, werden Stuhlproben von geheilten Personen auf Krebskranke übertragen.

Sie wollen die Krebstherapie revolutionieren – mithilfe von Darmbakterien: Anne Müller, Michael Scharl, Mitchell Levesque (v.l.).

Die Suche nach medizinischen Hinweisen

Flankiert werden die Transplantationen von Arbeiten verschiedener Forschender, die den Zusammenhang von Bakterien und Immunsystem untersuchen. Die Grundhypothese ist, dass Signalmoleküle der Bakterien von Immunzellen in der Darmschleimhaut erkannt werden und die Immunantwort beeinflussen. «Wir haben bereits verschiedene solcher Immunmodulatoren im Visier», sagt Prof. Dr. Anne Müller, Professorin für Experimentelle Medizin am Institut für Molekulare Krebsforschung der Universität Zürich, die an Mausmodellen forscht und eng mit Michael Scharl zusammenarbeitet. Die Mäuse erhalten dieselben Stuhltransplantationen wie die Patientinnen und Patienten im Universitätsspital Zürich, allerdings werden sie bei den Tieren oral verabreicht. Der Mäusemagen ist weniger sauer als der menschliche Magen und die Mikroben gelangen, ohne Schaden zu nehmen, in den Mäusedarm und können dort ihre Wirkung tun.

Anne Müller hofft, auch in Tiermodellen günstige Effekte der Stuhlgangtransplantation beobachten zu können. Die Idee hierbei ist, krebskranke Mäuse parallel zur Immuntherapie damit zu behandeln. Die Hoffnung ist einerseits, den Tumor durch die Stuhltransplantation gänzlich zum Verschwinden zu bringen, andererseits aber auch den Mechanismus der Wirkungsweise dieser Transplantation zu verstehen. «So können wir dank unserer Arbeit eine Prognose wagen», sagt Müller. «Wenn wir sehen, dass ein bestimmter Spenderstuhl in der Maus funktioniert, dann möglicherweise auch im Menschen.»

Mit im Boot ist auch Prof. Mitchell Levesque, Professor für experimentelle Immundermatologie an der Universität Zürich. Levesque sucht nach medizinischen Hinweisen, so genannten Biomarkern, die darauf hindeuten könnten, warum bestimmte Patientengruppen nicht auf die Immuntherapien ansprechen. Denn hier tappen die Forschenden noch im Dunkeln. Man weiss noch nicht, ob es Stoffwechselprodukte oder die Bakterien selbst sind, die die Immunantwort unterstützen, oder ob es Keime sind, die fehlen.

Prof. Dr. med. Michael Scharl

Will die Durchschlagskraft von Immuntherapien gegen Krebs erhöhen: Michael Scharl im Labor am Comprehensive Cancer Center Zürich.

Checkpoints blockieren Tumorzellen

Wie gut das Immunsystem normale von gefährlichen Zellen unterscheidet, liegt vor allem an so genannten Kontrollstellen – Checkpoints – die an der Oberfläche der schlagkräftigen T-Zellen der Immunabwehr sitzen. Eine gesunde Körperzelle aktiviert bestimmte Checkpoints an der Oberfläche der T-Zelle und wird so als körpereigen identifiziert. Entartete Zellen, obwohl als solche von den T-Zellen erkannt, aktivieren dieselben Checkpoints und täuschen so das Immunsystem. Hier setzt die Immuntherapie an. Die Checkpoints der Tumorzellen werden – mithilfe künstlich hergestellter Antikörper – blockiert, den sogenannten Checkpoint-Inhibitoren. Prompt fallen die nicht länger ausgetricksten Immunzellen über das bösartige Gewebe her. «Die Blockade von Immun-Checkpoints hat die Krebstherapie revolutioniert», betont Mitchell Levesque. Trotzdem schreitet bei einem grossen Teil der Patienten der Krebs weiterhin voran, weil sie nicht auf die Immuntherapie ansprechen.

Bei Darmspiegelung Bakterien übertragen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Scharl gehen nun pragmatisch vor. Sie transplantieren den Stuhl von fünf Krebsbetroffenen, die ausserordentlich gut auf die Immuntherapie angesprochen hatten und seit mehreren Jahren krebsfrei sind, auf 25 Krebspatientinnen und -patienten, denen die Immuntherapie nicht geholfen hat. Marianne Schütz ist eine dieser so genannten «Super-Donors». Nach einem Sicherheitscheck, der auch bekannte Krankheitserreger umfasst, wird ihr Bakteriengemisch auf den Dickdarm eines Probanden mit Hautkrebs übertragen. Das geschieht im Rahmen einer Darmspiegelung.

Das Mikrobiom als neuartiger Ansatz für die Präzisionsonkologie

Bei den über tausend verschiedenen Bakterienspezies, die den menschlichen Darm normalerweise besiedeln, ist es derzeit unmöglich, eine scharfe Grenze zwischen guten und schlechten Keimen zu ziehen. Die Forschenden wollen mit ihrer Mikrobiom-Studie herausfinden, welche Bakterienspezies oder mikrobiologischen Produkte ein schlagkräftiges Immunsystem begünstigen. Bei der Analyse des Mikrobioms im Darm entstehen grosse Datenmengen, etwa 10 Terabyte pro Patientin oder Patient. Scharl und sein Team sammeln zusätzlich alle Daten, wie Blutzellen, Serum, Darmgewebe, Krebsgewebe, den Stuhl. All dies wird auf molekularer Ebene untersucht. «Wir schauen, welche Stoffwechselprodukte die Bakterien produzieren und analysieren ihre Wirkung auf die Immunzellen», sagt Scharl.

Diese Bestrebungen zielen auf die zukünftige Behandlung von Patientinnen und Patienten ab: Langfristig will das interdisziplinäre Forschungsteam um Michael Scharl, Anne Müller und Michael Levesque massgeschneiderte Mikrobiomtransplantationen anbieten. Noch besser wäre es, wenn der passende Mikroben-Mix als Tablette verschrieben werden könnte.

*Name von der Redaktion geändert.

Untersuchung des Stuhlgangs

Stuhl von Krebsbetroffenen wird auf molekularer Ebene untersucht.

Im Gespräch mit...

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Anne Müller

«Die Darmbakterien beeinflussen, wie wirksam eine Immuntherapie ist»

Prof. Dr. Anne Müller ist Professorin für Experimentelle Medizin am Institut für Molekulare Krebsforschung der Universität Zürich.

Prof. Dr. Anne Müller
5:06

Michael Scharl

«Indem wir Stuhlgang transplantieren, können wir die Immuntherapien erfolgreicher gegen Krebs machen»

Prof. Dr. med. Michael Scharl ist Leitender Arzt an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie des Universitätsspitals Zürich und Professor für Translationale Mikrobiomforschung der Universität Zürich.

Prof. Dr. med. Michael Scharl
6:10

Mitchell Levesque

«Unsere Studie ist eine Revolution, sie ändert unsere Sichtweise, wie wir Krebs behandeln»

Prof. Mitchell Levesque ist Forschungsgruppenleiter für experimentelle Immundermatologie an der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich und Professor der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich.

Prof. Mitchell Levesque
4:58

Patientin (anonym)

«Für mich war klar, dass ich an der Studie teilnehme»

Die Patientin ist Empfängerin einer Stuhltransplantation.

4:08
Von der Forschung in die Praxis

Service

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Das onkologische Exzellenz-Zentrum Comprehensive Cancer Center Zürich bietet Krebspatientinnen und -patienten eine fachlich fundierte Expertenmeinung, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.

Übersicht aller laufenden onkologischen Studien der universitären Spitäler Zürich: Krebsstudien Zürich

Dermatologie online: Online-Hautcheck des USZ

Mikrobiom: Sprechstunde am USZ

Anne Müller und Mitchell Levesque im Labor
Arbeit im Labor
Anne Müller und Mitchell Levesque im Labor
Arbeit im Labor
Anne Müller und Mitchell Levesque im Labor
Wichtige Begriffe, kurz erklärt

Glossar

Mikrobiom:
Das Mikrobiom umfasst die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Darm besiedeln.

Checkpoint-Inhibitoren:
Checkpoint-Inhibitoren sind eine Art der Immuntherapie. Diese zielen darauf ab, die Bremsen für das eigene Immunsystem zu lösen. So soll die vorhandene, aber inaktive Immunantwort gestärkt und der Krebs bekämpft werden.

Fäkale Mikrobiota-Transplantation:
Die Transplantation der Darmbakterien einer Person in den Darm einer anderen Person – mittels Darmspiegelung.

T-Zellen:
T-Zellen zählen zu den weissen Blutkörperchen und sind ein wichtiger Bestandteil der körpereigenen Immunabwehr. Sie erkennen Körperzellen, die von einem Virus infiziert sind, und töten diese ab.

Gastroenterologie:
Die Gastroenterologie/Hepatologie umfasst die Diagnostik und Behandlung von Magen-, Darm-, Bauchspeicheldrüsen- und Lebererkrankungen.

Translationale Forschung:
Die Ergebnisse der translationalen Forschung (engl.: translate = übersetzen) werden für den klinischen Alltag «übersetzt», d.h. anwendbar gemacht.

Schwarzer Hautkrebs:
Schwarzer Hautkrebs gehört zu den bösartigen Tumoren und entsteht durch Entartung der melaninbildenden Zellen der Haut. Er stellt nicht die häufigste Hautkrebsart dar, jedoch deren bösartigste Form. Schwarzer Hautkrebs kann Metastasen bilden und ist für über 90 Prozent der durch Hautkrebs verursachten Todesfälle verantwortlich.

Wer finanziert dieses Projekt mit? (in Mio. CHF)

CCCZ
Die Laufzeit der Projektförderung
dauert von 2022 bis 2025

1.65

Credits

Text und Audio: Rebekka Haefeli, Marita Fuchs
Fotos: Frank Brüderli
Universität Zürich: Anne Müller, Michael Scharl, Mitchell Levesque
Universitätsspital Zürich: Michael Scharl, Mitchell Levesque, Christian Britschgi