#2 Was leisten Daten in der Medizin?

Episode #2

Was bewegt Menschen dazu, ihre Daten der Forschung zu spenden? Ist es ein selbstloser Dienst an der Allgemeinheit oder profitieren die Spenderinnen und Spender von den Erkenntnissen?

Gast der zweiten Folge ist Andrea Fleischmann. Vor sieben Jahren erkrankte sie an schwarzem Hautkrebs. Als sie angefragt wurde, ob ihr Tumorgewebe für die Forschung genutzt werden dürfe, war ihre Antwort klar: «Ich war sofort bereit, meine Daten zu spenden.»

Am Medizinstandort Zürich werden die erhobenen Daten anschliessend anonymisiert, damit sie von den Forschenden sicher weitergenutzt werden können: «Daten sind deshalb so wertvoll, weil sie neue Erkenntnisse über die spezifische Krebserkrankung geben und damit auch Informationen darüber, welche Medikamente gezielt wirken könnten», sagt Beatrice Beck Schimmer, Direktorin der Universitären Medizin Zürich. Ein Gespräch über die Wichtigkeit von Daten in der Medizin und darüber, wie viele Schätze nicht nur in den Datenbanken, sondern auch in den Kühlschränken der Biobanken schlummern.

Beatrice Beck Schimmer, Andrea Fleischmann und Beat Glogger

Wie Patientendaten die Medizin voranbringen

Viele Patientinnen und Patienten erklären sich bereit, ihre Gesundheitsdaten der Forschung zu spenden. Wie diese wertvollen Daten strukturiert, gesichert und gespeichert werden, erklärt Mitchell Levesque, Professor für experimentelle Immundermatologie an der Universität Zürich. Zugleich plädiert er für eine schweizweite Vereinheitlichung des Datenzugangs; nur so könne die hiesige Forschung im internationalen Vergleich mithalten.

Mitch Levesque ist Forscher und Datenspezialist. «Für die medizinische Forschung in der Schweiz ist es matchentscheidend, Gesundheitsdaten von Patientinnen und Patienten zu erheben, und – dank steigenden Informatikkapazitäten – schneller und kostengünstiger zu speichern», sagt er. Levesque weiss, wovon er spricht. Als Professor für experimentelle Immundermatologie an der Universität Zürich leitet er klinische Studien an der Dermatologischen Klinik und arbeitet intensiv an der Behandlung von Hautkrebs. 2014 begann er, eine zentrale Gewebe-Biobank aufzubauen. Sie enthält heute etwa 10’000 Gewebeproben von über 5’000 Patientinnen und Patienten, die sich einverstanden erklärt haben, dass ihre Daten in anonymisierter und verschlüsselter Form der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Die Biobank wird von Forschenden translationaler Krebsforschungsprojekte des University Research Priority Programms (URPP) genutzt und ist Teil von SKINTEGRITY.CH, einer schweizweiten Initiative zum Thema Hautforschung.

«Tumorforschung ist ohne Gewebebanken unmöglich», bilanziert Levesque, der zudem im Team des Tumor-Profiler-Projekts tätig ist, das Patientendaten in noch nie dagewesener Detailtreue analysiert. Die Forschenden konnten bereits erste Erfolge erzielen: Ergebnisse der Studie flossen in den klinischen Alltag zurück; bei einigen Patientinnen und Patienten konnte der Krebs aufgehalten werden.  

Mitch Levesque

Mitch Levesque, Professor für experimentelle Immundermatologie an der Universität Zürich

Warum spenden Patientinnen und Patienten?

Aber nicht immer können erkrankte Spenderinnen und Spender direkt einen Nutzen aus Forschungsresultaten ziehen. «Es kann Jahre dauern, bis Ergebnisse vorliegen», relativiert Levesque. Die Spendenden sind sich dessen bewusst und lassen sich von anderen Motiven leiten: Viele möchten dazu beitragen, dass neue Behandlungen, Medikamente und Therapien entwickelt werden. Andere wiederum sind bereit, ihre Daten aus Solidarität mit anderen Kranken zu spenden. Auch die eigene Familiengeschichte kann eine Rolle spielen, denn durch die Forschung mit Spenderdaten können krankmachende Risikofaktoren kommender Generationen identifiziert werden. Für andere ist der Zugang zu klinischen Studien von direktem persönlichem Interesse, sie erhalten – vor allem in fortgeschrittenen klinischen Studien – Zugang zu neuen, noch nicht zugelassenen Medikamenten oder Therapien.

Erklären sich Patientinnen und Patienten bereit, ihre Daten zu spenden, werden die Ergebnisse aus Laboranalysen und körperlichen Untersuchungen, wie Blutdruck, Röntgenbildern, Fotos von Hautveränderungen, Alter oder Geschlecht gespeichert. Hinzu kommen biologische Proben wie Blut, Urin und Gewebe.

Generelle Zustimmung

Die Verwendung von Patientendaten und -proben für Forschungszwecke – der so genannten Sekundärnutzung – wird durch das Humanforschungsgesetz (HFG) geregelt. Mit der Einwilligungserklärung der Spendenden, auch «Generalkonsent» genannt, geben sie ihr Einverständnis, schon vorhandene wie auch zukünftig erhobene Daten und Proben zur Verfügung zu stellen. In verschlüsselter oder anonymisierter Form können diese auch von anderen Institutionen im In- und Ausland für Forschungsprojekte genutzt werden. «Die Herausgabe von Gewebeproben erfolgt nach einem standardisierten Prozess, bei dem wissenschaftliche, rechtliche und ethische Aspekte berücksichtigt werden», sagt Levesque. «Es sind keine Rückschlüsse auf den Spender oder die Spenderin möglich.»

Zellstress verhindern

Doch was genau geschieht mit den Proben? Wie werden sie fachgerecht gespeichert und aufbewahrt? Die Biobank am Universitätsspital Zürich enthält zum Beispiel in Formalin fixierte Tumorbiopsien oder gefrorenes menschliches Material, das sich für molekulare Analysen eignet. Darüber hinaus stehen eine Reihe von so genannten Tumorgewebe-Microarrays – für DNA- und RNA-Analysen – zur Verfügung. Auf dem DNA-Microarray sind sämtliche Gene des zu untersuchenden Organismus auf einer Glasplatte, dem «Gen-Chip», als einsträngige DNA angeordnet (englisch array = Anordnung).

«Das empfindliche Material, zum Beispiel aus Biopsien, wird eingefroren», erklärt der Forscher. Dabei ist der Erhalt von Zellen wichtig, damit sie über Jahre hinweg erhalten bleiben. Techniken und Werkzeuge für das ordnungsgemässe Einfrieren von Zellen sind herausfordernd. So müssen die Forschenden intrazelluläre Eiskristalle und Zellstress verhindern, damit das wertvolle Material und mit ihm die wichtigen Daten für weitere Forschung erhalten bleiben.

Datenaustausch vereinheitlichen und schweizweit organisieren

Die Methoden, wie Gewebeproben analysiert, verarbeitet und in standardisierte Datenstrukturen gespeichert werden, müssen einheitlich sein; denn nur so lassen sich Daten vergleichen. «Umfangreiche Datensammlungen eröffnen neue Möglichkeiten der Behandlung und Therapie, doch mangelt es in der Schweiz gesamthaft gesehen an dem für die Forschung notwendigen Datenaustausch», hält Levesque fest. Es sei dringend nötig, sich auf übereinstimmende Methoden zur Datenspeicherung und Datenstrukturierung zu einigen, nur so ständen der Forschung genügend Daten zur Verfügung.

«Doch leider ist es heute so, dass jedes Spital sein eigenes Informatiksystem hat. Die Daten der Patientinnen und Patienten sind deshalb nicht immer kompatibel mit anderen Systemen und können nicht ohne Weiteres zwischen den Spitälern ausgetauscht und für Forschungsprojekte genutzt werden. Es fehlt an einer gesamtschweizerischen digitalen Infrastruktur», sagt Levesque und blickt ins Ausland, wo man in Bezug auf den Datenaustausch in einigen Ländern schneller vorankomme.

Neue Plattformen nutzen

Ein guter Schritt in die richtige Richtung sei die von der Universitären Medizin Zürich lancierte «Biomedizinische Informatikplattform», lobt Levesque. Damit soll in den kommenden Jahren ein einheitliches Datenmanagement auf dem Forschungsplatz Zürich entstehen. Die beteiligten vier universitären Spitäler werden ihre für jedes Forschungsprojekt erhobenen, anonymisierten Daten an die neue Plattform senden. Dort werden sie zusammengeführt, gespeichert und vereinheitlicht.

Darüber hinaus ist Levesque auch an der Swiss Personalized Health Network (SPHN) Initiative beteiligt. Sie zielt darauf ab, forschungsrelevante molekulare und klinische Gesundheitsdaten sicherzustellen und den für die Forschung notwendigen Datenaustausch zu ermöglichen. Damit könnte die Schweiz auf dem Gebiet der datengetriebenen Personalized-Health-Forschung national und international voranschreiten. Aber die Schweizer Politik müsse bereit sein, über Kantonsgrenzen hinweg zu investieren, sonst verpasse man den Anschluss, mahnt der Datenspezialist.  

Wichtige Begriffe, kurz erklärt

Glossar

Gesundheitsdaten:
Darunter sind Daten zu verstehen, die in einem Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand einer Person stehen. Dazu gehören unter anderem Informationen zum gesundheitlichen Zustand (Krankheiten, Symptome, Therapien), Ergebnisse aus Labortests, aber beispielsweise auch Angaben zum Lebensstil (Ernährung, Rauchen usw.). 

DNA (Desoxyribonukleinsäure, engl. Deoxyribonucleic acid):

DNA ist das Molekül, das genetische Informationen in den Zellen trägt und an nachfolgende Generationen weitergegeben wird. Sie besteht aus zwei gegenläufigen Strängen, die in einer Doppelhelix-Struktur angeordnet sind.

RNA (Ribonukleinsäure, engl. Ribonucleic acid):

RNA ist ebenfalls ein Träger von genetischen Informationen, spielt jedoch eine zentrale Rolle bei der Proteinsynthese und anderen zellulären Funktionen. Im Gegensatz zur DNA besteht RNA meist aus einem einzigen Strang.

Translationale Forschung:

Translationale Forschung zielt darauf ab, Erkenntnisse aus dem Labor rasch und effizient in klinische Anwendungen zu übertragen, die Patientinnen und Patienten zugutekommen.

Biobank:

Biobanken sind Sammlungen biologischer Proben und damit zusammenhängender Daten in strukturierter Form. Biobanken für die medizinische Forschung enthalten typischerweise Gewebeproben, Blut oder andere Körperflüssigkeiten, sowie Zellen oder DNA-Proben menschlichen Ursprungs.

Immundermatologie:

Die Immundermatologie ist ein Fachgebiet, das sich mit den Wechselwirkungen zwischen dem Immunsystem und der Haut befasst. Hierbei stehen insbesondere die immunologischen Aspekte von Hauterkrankungen im Vordergrund.