Episode #1: Je mehr Daten, desto besser?

3 Milliarden Datenpunkte. So viele Informationen existieren über eine Person, die an Lungenkrebs erkrankt ist. Doch wer wertet diese Menge an Daten aus, wer braucht sie für Forschungszwecke und welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz (KI)?

Gast der ersten Folge ist Michael Krauthammer, Professor für Biomedizininformatik an der Universität Zürich. Zusammen mit einem interdisziplinären Team baut er an einer Informatikplattform für biomedizinische Daten. Er will grosse Mengen an Daten zugänglich machen – für die Forschung und als Training für KI. Sein Ziel: die Medizin noch präziser machen.

Beatrice Beck Schimmer, Michael Krauthammer und Beat Glogger

The LOOP Zurich BMIP: Die Zürcher Daten nutzen

Gesundheitsdaten können helfen, die Behandlung von Patientinnen und Patienten zu verbessern. Deshalb schaffen die Universität, die ETH und die vier universitären Spitäler in Zürich eine gemeinsame Plattform für den Austausch solcher Daten. Bis 2025 soll die «Biomedizininformatik-Plattform» bereit sein.

Sei es die Blutgruppe, unser Gewicht oder die Körpertemperatur: Gesundheitsdaten helfen mit, medizinische Behandlungen bestmöglich an unsere individuelle Situation anzupassen. So ist das Gewicht etwa wichtig, um gewisse Medikamente richtig zu dosieren und die Blutgruppe ist ausschlaggebend dafür, welche Blutkonserve wir benötigen.

Moderne medizinische Technologien und immer schnellere Computerprozessoren erlauben es, immer mehr Informationen über unseren Körper zu sammeln und zu verarbeiten. Stimmen die Patientinnen und Patienten der Nutzung ihrer Daten für die medizinische Forschung zu, wird es spannend. Beatrice Beck Schimmer, Direktorin Universitäre Medizin Zürich (UMZH), sagt: «Grosse Datenmengen sind eine wichtige Grundlage der Präzisionsmedizin. Denn darin lassen sich Muster erkennen, wie sich Krankheiten entwickeln und welche Therapien wirksam sind.»

Riesiges Potenzial

Aber werden die vorhandenen Daten auch genutzt? Wie sieht das in den vier universitären Spitälern in Zürich aus, also dem Universitätsspital Zürich, dem Universitäts-Kinderspital Zürich, der Universitätsklinik Balgrist und der Psychiatrischen Universitätsklinik? «Wir nutzen das riesige Potenzial noch zu wenig», ist Beatrice Beck Schimmer überzeugt.

Der Grund: Heute benutzt jedes Spital sein eigenes Informatiksystem. Die Daten der Patientinnen und Patienten sind nicht immer kompatibel mit anderen Systemen und können deshalb nicht ohne Weiteres zwischen den Spitälern ausgetauscht und für spitalübergreifende Forschungsprojekte genutzt werden. Es fehlt an einer gemeinsamen digitalen Infrastruktur.

Eine Plattform für alle

Jetzt ist eine Lösung dafür in Sicht. Das Forschungszentrum The LOOP Zurich – eine gemeinsame Initiative von UZH, ETH Zürich und den vier universitären Spitälern – will bis 2025 eine Biomedizininformatik-Plattform für den Austausch von Gesundheitsdaten aufbauen. Den Auftrag dazu hat The LOOP Zurich von der Universitären Medizin Zürich erhalten, wofür die Regierung des Kantons Zürich die notwendigen Mittel gesprochen hat.

Damit soll in den kommenden Jahren ein zentrales Datenmanagement auf dem Forschungsplatz Zürich entstehen. «Ziel ist es, einen effizienten, einfachen Datenaustausch für alle beteiligten Forschenden zu ermöglichen. Das ist eine wichtige Basis für die langfristige Entwicklung des Medizinstandortes Zürich», sagt Professor Gunnar Rätsch, Biomedizininformatiker an der ETH Zürich und Co-Projektleiter der Biomedizininformatik-Plattform.

Gunnar Rätsch

Gunnar Rätsch (ETH Zürich), Co-Projektleiter The LOOP Zurich BMIP

Harmonisierte Daten

Konkret wird das so aussehen: Die beteiligten vier universitären Spitäler werden ihre für jedes Forschungsprojekt erhobenen, anonymisierten Daten an die neue Plattform senden. Dort werden sie zusammengeführt, gespeichert und harmonisiert – also in ein Format gebracht, das den Austausch zwischen den einzelnen Spitälern ermöglicht. Ziel ist es, auch diagnostische Informationen aus Gewebeproben von bestehenden Biobanken mit der Plattform zu verbinden.

Für die Informatikplattform werden dieselben strengen Anforderungen an den Datenschutz gelten wie in den Spitälern. Sie wird es erlauben, das Potenzial der Daten für die Medizin noch besser zu nutzen. «Die Informatikplattform wird neue, wegweisende Projekte ermöglichen. So können wir den Forschungsplatz Zürich noch stärker als international bedeutendes Zentrum der Präzisionsmedizin positionieren», sagt Beatrice Beck Schimmer.

Schon heute sind Zürcher Forschende mit gewissen onkologischen Projekten führend. Ein Beispiel ist das Tumor-Profiler-Projekt. Hier wird das molekulare Profil eines Tumors bestimmt, um den Patientinnen und Patienten eine präzis auf sie abgestimmte Therapie anzubieten.

Zurück in die Klinik

Die Biomedizininformatik-Plattform wird nicht nur die Speicherung und den Austausch von Daten ermöglichen, sondern auch die Entwicklung und die vernetzte Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI). Algorithmen helfen bereits heute mit, medizinische Bildgebung zuverlässig auszuwerten. Auch hierzu haben Forschende mit Daten aus dem Universitätsspital Zürich schon Wegweisendes geleistet – etwa das Team um Professor Michael Krauthammer, Medizininformatiker an der UZH und Co-Projektleiter der Biomedizininformatik-Plattform. Es gelang den Forschenden, eine KI zu entwickeln, die auf Bildern Folgeschäden einer rheumatischen Erkrankung frühzeitig erkennt und automatisiert entsprechende medizinische Diagnosen erstellt.

Michael Krauthammer

Michael Krauthammer (Universität Zürich), Co-Projektleiter The LOOP Zurich BMIP

Michael Krauthammer ist deshalb überzeugt: Grosse Datenmengen kombiniert mit Künstlicher Intelligenz können helfen, Kosten zu reduzieren und Ärztinnen und Ärzten von Routinearbeiten zu entlasten – damit sie wieder mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten haben. Gleichzeitig könne KI zu einer höheren Qualität der Behandlung beitragen und ermögliche Innovationen, beispielsweise bei der Suche nach neuen Wirkstoffen für Medikamente.

Dies ist denn auch das Ziel der Biomedizininformatik-Plattform: Dass Daten von Patientinnen und Patienten über den Weg in die Forschung als neue Erkenntnisse wieder in die Behandlung einfliessen. So schliesst sich der Kreis – ganz im Sinne eines LOOPs.

Viele und genaue Daten

Dieser Kreis soll langfristig weit über Zürich hinausgehen. Deshalb wird die Biomedizininformatik-Plattform den Standards entsprechen, wie sie derzeit im Rahmen des Swiss Personalized Health Network (SPHN) entwickelt werden. Diese Initiative des Bundes will einen schweizweiten Austausch von Gesundheitsdaten für die Forschung ermöglichen. Die Zürcher Lösung wird sich über eine Schnittstelle direkt darin integrieren lassen und könnte gar zum nationalen Vorbild für die datenzentrierte Forschung werden.

Aber nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit sollen medizinische Daten in der Zukunft für die Forschung und Entwicklung neuer Therapien vernetzt werden. Das ist umso wichtiger, weil immer präzisere Profile eines einzelnen Patienten allein nicht ausreichen. Hat jemand beispielsweise eine seltene Krankheit, gibt es in der Schweiz vielleicht nur zwei Personen mit einer vergleichbaren Ausprägung der Erkrankung. Weltweit könnten aber einige Hundert Menschen ähnlich betroffen sein. Weltweite Daten von Patienten werden helfen, Gemeinsamkeiten und wirksame Behandlungen zu erkennen. Deshalb braucht es nicht nur genaue, sondern auch viele Daten.

Das lässt sich an der Forschung von ETH-Professor Gunnar Rätsch gut aufzeigen. Sein Team hat gemeinsam mit Partnerinstituten eine weltweite Plattform initiiert, welche den Austausch von Daten zu zwei bedeutenden Brustkrebs-Genen ermöglicht. Diese Gene treten in vielen, zum Teil sehr seltenen Varianten auf. Jede Variante ist mit einem unterschiedlichen Risiko verbunden, an Brustkrebs zu erkranken. Je umfangreicher die Datenbank, desto besser können Frauen ihr Risiko einschätzen und entsprechend handeln. Big Data macht den Unterschied, wenn es darum geht, die bestmögliche medizinische Behandlung zu erhalten. Mit der gemeinsamen Informatikplattform will der Forschungsplatz Zürich diese Chance nutzen.  

Serverraum Leonhard Med an der ETH
Wichtige Begriffe, kurz erklärt

Glossar

Big Data:
Big Data umschreibt die Auswertung grosser Datenmengen aus unterschiedlichsten Quellen.

Gesundheitsdaten:
Darunter sind Daten zu verstehen, die in einem Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand einer Person stehen. Dazu gehören unter anderem Informationen zum gesundheitlichen Zustand (Krankheiten, Symptome, Therapien), Ergebnisse aus Labortests, aber beispielsweise auch Angaben zum Lebensstil (Ernährung, Rauchen usw.).

Medizininformatik:
Die Medizininformatik befasst sich mit der systematischen Gewinnung, Verarbeitung, Speicherung und Analyse von Daten und Informationen aus der Medizin und dem Gesundheitswesen.

Präzisionsmedizin (früher: personalisierte Medizin):
Jeder Mensch ist anders. Auch die Art und Weise, wie wir krank und wieder gesund werden können, unterscheidet sich. Schon bisher waren in der Medizin individuelle Merkmale wie das Alter, das Geschlecht oder vorbestehende Krankheiten bei der Behandlung wichtig zu berücksichtigen. Die Präzisionsmedizin bezieht neu zusätzlich unter anderem umfangreiche genetische und molekulare Daten sowie etwa Informationen aus der Bildgebung mit ein. Dabei werden modernste medizinische Technologien und Werkzeuge der Datenanalyse genutzt. So wird es möglich, eine wesentlich präzisere Diagnose zu stellen und optimal auf die Patientin oder den Patienten zugeschnittene Behandlungen zu finden.

Credits

Text: Adrian Ritter
Podcast: Beat Glogger
Fotos: Frank Brüderli
Universität Zürich: Michael Krauthammer
ETH Zürich: Gunnar Rätsch