Sauerstoff-Sensor für Frühgeborene
In der Schweiz kommen jährlich etwa 6’000 bis 7’000 Frühgeborene zur Welt. Das entspricht ungefähr acht Prozent aller Geburten. Häufig leiden Frühchen unter Sauerstoffmangel. Das Startup-Unternehmen «OxyPrem» hat ein Gerät entwickelt, das Sauerstoff präzise misst und damit helfen kann, Leben zu retten.
Herr Kleiser, Herr Nitsch, Sie haben 2018 das Spin-off OxyPrem gegründet und damit den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Was hat Sie zusammengeführt?
Nitsch: Wir sind Schulkameraden und kennen uns seit unserer Zeit im Gymnasium. Stefan war damals schon der Techniker der Klasse. Er konnte alles reparieren!
Kleiser: (lacht) Ja, ich tüftle gern. Deshalb habe ich auch Mikrosystemtechnik studiert. Während meines ETH-Doktorats an der Neonatologie des Universitätsspitals Zürich hatte ich die Möglichkeit, an einem Sensor zu arbeiten, der den Sauerstoffgehalt im Gehirn Frühgeborener misst. Ein Konsortium von Neonatologen war auf meinen Doktorvater, Professor Martin Wolf, zugekommen. Sie bekundeten das dringende Interesse an einem Gerät, das den Sauerstoff an kleinen Köpfen messen kann. Bisher nutzen die behandelnden Fachpersonen Geräte, die für Erwachsene konzipiert wurden. Sie waren nicht für die Physiologie der Neugeborenen gemacht und viel zu unpräzise.
Was kann passieren, wenn Frühgeburten zu viel oder zu wenig Sauerstoff bekommen?
Kleiser: Erhalten die Kleinen zu wenig Sauerstoff, sterben Zellen im Gehirn ab; bei zu viel entstehen Sauerstoffradikale, die auch zu Zellschäden führen. Bei Neugeborenen kann das zum Beispiel zur Retinopathie kommen, die zum Erblinden führt. Je früher Kinder geboren werden, um so instabiler sind sie. Ganz kurze Episoden mit schlechter Sauerstoffversorgung können schon gravierende Schäden verursachen, leider mit lebenslangen Auswirkungen.
Nitsch: Und das Problem ist brisant. In der Schweiz kommen jährlich etwa 6’000 bis 7’000 Frühgeborene zur Welt. Das entspricht ungefähr acht Prozent aller Geburten, weltweit sind es 10 Prozent. Als Frühgeburt gilt ein Kind, das vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird, wobei die meisten Frühgeburten zwischen der 32. und 36. Schwangerschaftswoche liegen. Bei Mehrlingsschwangerschaften sind Frühgeburten besonders häufig.
Herr Kleiser, was leistet denn das Gerät, das Sie entwickelt haben?
Kleiser: OxyPrem besteht aus einem Sensor für die Nahinfrarotspektroskopie, der in weiches, biokompatibles Silikon eingebettet ist und gut am Kopf des Babys befestigt werden kann. Der Sensor sendet unschädliches Licht verschiedener Wellenlängen in das Gewebe und prüft dann, welche dieser Lichtwellen wie stark reflektiert werden. Algorithmen wandeln die Signale in Messungen der Sauerstoffversorgung um. Die Resultate können die behandelnden Ärzte- und Pflegeteams auf einem Monitor ablesen. Die Erfahrungen aus klinischen Studien haben gezeigt, dass die Technologie ein bisher unerreichtes Mass an Präzision aufweist. Damit war die Marktreife erreicht. Für die Gründung eines Unternehmens fehlten mir aber die Kenntnisse aus der Betriebswirtschaft und aus dem Finanzbereich.
Nitsch: So kam ich ins Spiel: Stefan hat mich gefragt, ob ich die Projektkoordination übernehmen möchte. Vom Potential des Gerätes war ich überzeugt. Ich komme aus einer Medizinerfamilie, die Thematik war mir auch nicht fremd. Meine Entscheidung beim Startup mitzumachen, lag auch darin, etwas Sinnvolles zu tun; etwas, das Menschen helfen kann. Und ich fühlte mich für die Gründung gut gerüstet, da ich mich zuvor schon im Finanz- und Startupbereich selbständig gemacht hatte.
Hatten Sie finanziell einen guten Start nach der Gründung von OyxPrem?
Nitsch: Das Wyss Zurich, ein interdisziplinäres Forschungs- und Innovationszentrum an der Universität Zürich, hat uns während eines dreijährigen Accelerator-Programms unterstützt. Das war eine gute Ausgangsbasis. Die zweite Säule war ein grosses EU-Fördergeldprogramm, das nach dem Scheitern von Horizon 2020 das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation übernommen hat. Im vergangenen Jahr wurden wir von privaten Investoren und Stiftungen unterstützt.
Haben Sie auch selbst in Ihre Firma investiert?
Nitsch: Ja, selbstverständlich. Das ist auch für Investoren von Relevanz, sie fragen danach. Da wir inzwischen auf 15 Personen angewachsen sind, stehen wir zudem in einer unternehmerischen Verantwortung. Wir haben uns deshalb jetzt entschlossen, eine Crowdinvesting-Kampagne durchzuführen. Ziel ist es, bis Ende dieses Jahres 2,3 Millionen Euro einzunehmen. Die Bewertung unseres Unternehmens vor dieser Finanzierungsrunde lag bei gut 17 Millionen Euro.
Wir haben den Sitz in Schlieren, im «Startup Space», und sind umgeben von Gründungsfirmen. Ich erlebe die Community als sehr unterstützend. Auch die verschiedenen Stellen der Universität Zürich, wie zum Beispiel UZH Innovation oder der Translational Medicine Accelerator (TMA) waren eine grosse Hilfe, denn zu Beginn einer Firmengründung muss man so vieles bedenken und Regularien einhalten, besonders in der Medizintechnikbranche, das hätten wir ohne Hilfe nicht geschafft.
Gab es auch Rückschläge?
Nitsch: Natürlich ist man nie gefeit vor Überraschungen, Dinge, die man ändern muss. Im Kontext von Unternehmensneugründungen spricht man oft vom Valley of Death, einer besonders schwierigen Phase im Lebenszyklus eines Start-ups, in der das Unternehmen mit grossen Herausforderungen konfrontiert ist und die Gefahr besteht, zu scheitern. Diese Phase soll nach der ersten Gründungsphase eintreten, bevor das Unternehmen eigene Umsätze erwirtschaftet.
Ich finde das irreführend, denn diese Phase hält oft länger an, als man geplant hat. Ich denke, dass daran auch manche Jungunternehmen scheitern. Als Neugründer muss man lange Durststrecken durchstehen, sehr viel arbeiten, man muss einen langen Atem haben und persönlich resilient sein. Das wird oft zu wenig thematisiert. Als Unternehmensgründer sollte man eher ein Kamel sein, ein Einhorn ist ja bekanntlich selten. Kamele sind robuste Tiere, die in schwierigen Wüstenumgebungen überleben können – das ist die Metapher für Startups, die mit weniger Kapital auskommen und trotzdem langfristig überleben und zum Erfolg kommen können.
Wie geht es nun weiter?
Kleiser: Nach einer Optimierung und Miniaturisierung soll unser System kommendes Jahr die CE-Zertifizierung als Medizinprodukt in der EU erhalten. Somit wird im Jahr 2025 die zweite Generation unserer Sauerstoffsensoren für das Gehirn, unter dem Namen «OxyPrem NOAH», auf den Markt kommen.
Die nächsten Schritte bestehen darin, die Finanzierung auf die Beine zu stellen und das Spektrum der klinischen und geschäftlichen Partner zu erweitern, damit OxyPrem den gesamten europäischen Gesundheitsmarkt erreichen kann.
Weiterführende Links
OxyPrem | Newborn Brain Protection
Sendung im SRF, 10 vor 10 über OxyPrem
10 vor 10 - «Die Idee»: Mini-Sensoren für Frühgeborene - Play SRF
Glossar
CE-Zertifizierung:
Abkürzung für "Conformité Européenne" (europäische Konformität). Zeigt an, dass ein Produkt die europäischen Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltanforderungen erfüllt
Nahinfrarotspektroskopie:
Eine Analysemethode, die Licht im nahen Infrarotbereich nutzt, um die Zusammensetzung oder Struktur von Stoffen zu untersuchen
Neonatologie:
Fachgebiet der Medizin, das sich mit der Betreuung und Behandlung von Neugeborenen, insbesondere von kranken oder frühgeborenen Babys, beschäftigt
Spin-off:
Zu Deutsch: Ableger, Ausgliederung einer Organisationseinheit aus bestehenden Strukturen, etwa einer Hochschule. Eine Forschungsgruppe wird aufgrund einer Gründung zu einem eigenständigen Unternehmen
Kontakt
Stefan Kleiser
Alexander Nitsch
OxyPrem AG
c/o Startupspace
Wiesenstrasse 10A
8952 Schlieren
+41 43 508 16 97
E-Mail
Von der Forschung zur Marktreife: Zürich bietet ideale Bedingungen für Spin-offs
Die Gründung eines Spin-offs beinhaltet typischerweise den Übergang von reiner Forschung zur Kommerzialisierung, was eine erhebliche Herausforderung darstellt. Dieser Prozess erfordert die Entwicklung einer marktfähigen Anwendung oder eines Produkts aus den Forschungsergebnissen. Dazu gehören Aspekte wie Produktentwicklung, Marktanalyse, Geschäftsmodellierung, Finanzierung, rechtliche Rahmenbedingungen und der Aufbau eines operativen Geschäfts. Das Überwinden dieser Hürden ist entscheidend, um aus einer wissenschaftlichen Idee ein erfolgreiches kommerzielles Unternehmen zu machen.
Gezielte Förderung erhöht die Wettbewerbsfähigkeit
Um die Lücke zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktischer Anwendung zu schliessen, bietet die Universitäre Medizin Zürich (UMZH) interessierten Spin-offs mit dem Translational Medicine Accelerator (TMA) die Möglichkeit, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Indem der Entwicklungsprozess professionell begleitet und damit beschleunigt wird, können die Erfolgschancen medizinischer Innovationen im Markt erhöht werden. Der TMA bietet massgeschneiderte Beratung, unternehmerische Schulungen sowie Mentoring und bringt Gründerinnen und Gründer mit relevanten Akteuren aus der Industrie sowie mit Investoren zusammen. Besonders hervorzuheben ist der UZH Life Sciences Fund, der spezifische finanzielle Unterstützung für Spin-offs bereitstellt, um ihre Geschäftsstrategie zu entwickeln und ihre Projekte erfolgreich zu skalieren.
Der TMA hat in den letzten drei Jahren fast 100 Projekte unterstützt. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch SPARK ZURICH, ein vom TMA unterstütztes Mentoring-Netzwerk, das auf dem erfolgreichen und gleichnamigen Programm der Stanford University in den USA basiert. Gründer-Teams können ihre Projekte und Pläne präsentieren und vom Feedback eines externen Fachpublikums profitieren.
Der Wirtschaftsstandort Zürich ist einzigartig
Zürich selbst bietet als Standort ideale Bedingungen für innovative Life-Science-Unternehmen, die ein erfolgreiches Geschäft aufbauen möchten. Als Wirtschaftszentrum der Schweiz besticht die «Greater Zurich Area» durch eine hohe Dichte an kleinen Biotech-Unternehmen, etablierten Industriepartnern und modernster Laborinfrastruktur. Darüber hinaus bietet die Region den Zugang zum «Swissmedic Innovation Office», das Innovationen im Bereich der Medizinprodukte und Arzneimittel unterstützt. Durch die Förderung von Spin-offs entstehen nicht nur innovative Unternehmen, sondern auch hochqualifizierte Arbeitsplätze. Die Nähe zu führenden Hochschulen und renommierten universitären Spitälern steigert die Attraktivität zusätzlich. Besonders für Investoren sind die enge Zusammenarbeit mit global führenden Forschungseinrichtungen und der Zugang zu internationalen Märkten von Interesse.
Die Universitäre Medizin Zürich als Treibkraft in dieser dynamischen Innovationslandschaft trägt massgeblich zur Stärkung Zürichs als führendem Standort für medizinische Innovationen bei. Dies resultiert letztlich in einer signifikanten Verbesserung der Gesundheitsversorgung und unterstreicht die zentrale Rolle Zürichs im globalen Life-Science-Sektor.