Mobilität bei Schlaganfall und Parkinson
Viele Patientinnen und Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben oder an Parkinson erkrankt sind, leiden an Störungen beim Gehen oder sind akut sturzgefährdet. Deshalb hat sich das Forschungsteam um Professor Andreas Luft zum Ziel gesetzt, die mit den beiden Erkrankungen einhergehenden Gehstörungen zu therapieren und so die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. In ihrem Projekt «StimuLOOP» setzen sie auf eine Vermessung des Gehens mit anschliessenden Trainings. Die Konsolidierung des Gelernten findet schliesslich während der Tiefschlafphasen der Patientinnen und Patienten statt.
Kontakt
Prof. Dr. med. Andreas Luft
Leitender Arzt an der Klinik für
Neurologie des Universitätsspitals
Zürich und Leiter Stroketeam am
Schlaganfallzentrum Zürich und
Professor der Medizinischen
Fakultät der Universität Zürich
+41 44 255 45 06
E-Mail
UMZH-Institutionen
Universität Zürich
Universitätsspital Zürich
ETH Zürich
Universitäts-Kinderspital Zürich
Team
Selbstständige und freie Bewegung als Synonym für Lebensqualität
Was gehört zur Lebensqualität? Auf diese Frage würden wohl die meisten Menschen antworten: Die Freiheit, sich selbstständig und frei bewegen zu können. Vielen Patientinnen und Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben oder an Parkinson erkrankt sind, ist diese Freiheit abhandengekommen. Sie leiden an Störungen beim Gehen oder sind akut sturzgefährdet. Sich fortzubewegen ist für sie ausgesprochen anstrengend und mühsam. Der Schlaganfallspezialist und Leitende Arzt Andreas Luft von der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich (USZ) behandelt sowohl junge als auch ältere Patientinnen und Patienten, die von einem Schlaganfall betroffen sind. «Manche leiden auch nach langen Therapien unter starken Defiziten beim Gehen», erklärt Professor Luft. «Sie sind zu unsicher, um sich draussen zu bewegen, oder zu langsam, um eine Strasse zu überqueren. Manche sind in ihrer Wohnung isoliert und kaum in der Lage, von einem Zimmer ins andere zu gehen. Sie verlieren ihre Arbeit und soziale Kontakte.»
StimuLOOP ist ein Paradebeispiel für Präzisionsmedizin
Auch Parkinson-Betroffene leiden oft an Gehstörungen, obschon die Ursachen dafür unterschiedlich sind. Professor Luft und sein Kollege, der Parkinson-Spezialist Christian Baumann vom USZ, arbeiten nun zusammen mit weiteren Forschungspartnerinnen und -partnern der UMZH an einem Projekt, um die Therapien für diese beiden Gruppen zu optimieren. Zu diesem Team gehört auch Meret Branscheidt. Als leitende Ärztin betreut sie Patientinnen und Patienten mit verschiedensten neurologischen Krankheitsbildern an der Klinik «cereneo», einem Zentrum für Neurologie und Rehabilitation am Vierwaldstättersee. Ihre Forschung hingegen tätigt sie an der Universität Zürich und an der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich. Hier befasst sie sich mit Veränderungen und Genesungsprozessen nach einem Schlaganfall; im Fokus stehen neuronale Prozesse, die dem motorischen Lernen bei gesunden und erkrankten Menschen zugrunde liegen. Meret Branscheidt absolvierte ein zweijähriges Post-Doc-Stipendium an der Johns Hopkins University, Baltimore, USA, und verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Anwendung nicht-invasiver Hirnstimulationstechniken. Sie führte bisher erfolgreich klinische Studien mit akuten und chronischen Schlaganfallpatientinnen und -patienten durch.
Zusammen wollen die StimuLOOP-Forschenden nun die Perspektiven für die Patientinnen und Patienten revolutionieren. «Wir wollen die Gehfähigkeit nachhaltig verbessern. Und zwar mit einem individualisierten, auf die jeweilige Person zugeschnittenen Gangtraining», sagt Meret Branscheidt. Auch für Andreas Luft ist der grösste Antrieb, die Situation der Patientinnen und Patienten zu verbessern: «Heute können wir einigen nach Abschluss der Rehabilitation nichts mehr anbieten. Das wollen wir ändern und ihnen wieder ein unabhängiges Leben ermöglichen.»
Im Ganglabor werden die Bewegungen einer Studienteilnehmerin detailliert aufgezeichnet.
Gehfähigkeit mit Virtual Reality verbessern
StimuLOOP baut zunächst auf der Vermessung des Gehens auf. «Wir führen die Studien in einem topmodernen Gang-Labor mit Virtual Reality-Umgebung durch, von denen es in Europa nur ganz wenige vergleichbare gibt», erklärt Meret Branscheidt. (siehe Video). Hier werden die Bewegungen der Studienteilnehmenden detailliert aufgezeichnet. Gemessen werden beispielsweise die Winkel der einzelnen Gelenke oder wie symmetrisch das Gehen ist. Man will aber auch herausfinden, wie gut das Gleichgewicht ist, welche Kräfte der Beine auf den Boden wirken und wie sich die Muskelaktivität verhält. «Zusammen mit weiteren Messungen im Alltag, die über Sensoren an Armen und Beinen erfolgen, ergibt sich ein komplettes, individuelles Bild des Gehens», erklärt Andreas Luft.
Dann folgen die Therapien: In Trainingseinheiten von ein bis zwei Stunden werden die Betroffenen angeleitet, wie sie ihr Gehen verbessern können. Dabei bekommen sie unmittelbare Rückmeldungen. Das Feedback bei Schlaganfallbetroffenen wird beispielsweise visuell vermittelt; über ein lachendes Gesicht auf einem Bildschirm, wenn eine Bewegung richtig ausgeführt wurde. Das Feedback kann auch über Sensoren erfolgen, die vibrieren, wenn ein Patient oder eine Patientin ein Defizit erfolgreich ausgleichen konnte.
Mentale Strategien gegen das plötzliche Erstarren
Bei Parkinson liegt der Fall etwas anders. Vielen Erkrankten wurden zur Linderung der Symptome bereits Elektroden ins Gehirn implantiert. Diese werden nun im Gangtraining genutzt. Im Labor lassen sich durch sie nicht nur Hirnareale stimulieren, sondern gleichzeitig die Nervensignale auslesen. «Während des Trainings können die Studienteilnehmenden direkt am Tablet ihre Nervensignale beobachten. Sie lernen dann, ihre Hirnaktivität durch ihre Vorstellungskraft selbst so zu regulieren, dass sich ihre Gehfähigkeit verbessert,» sagt Roger Gassert, Professor für Rehabilitationstechnik am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich. Bei Parkinson tritt häufig das Symptom des «Freezing of Gait» auf – ein plötzliches Erstarren, das es unmöglich macht, die eigenen Füsse zu bewegen. «Unsere Patientinnen und Patienten sollen mentale Strategien lernen, um sich aus dieser Starre zu lösen», führt Roger Gassert aus, «denn damit lassen sich ähnliche Effekte erzielen, wie mit medikamentösen Therapien oder wie mit einer Stimulation über Elektroden.»
«Konsolidierung» findet im Schlaf statt
Bei beiden Studiengruppen soll in einem weiteren Schritt das Gelernte gefestigt werden. Die sogenannte «Konsolidierung» findet im Schlaf statt, denn der Vorgang des Abspeicherns kann durch die Beeinflussung der Hirnaktivität während des Schlafes unterstützt werden. Die Schlaganfallbetroffenen erhalten einen Kopfhörer, über den während einer der Tiefschlafphasen rhythmische Tonfolgen abgespielt werden. Bei den Parkinsonbetroffenen kommen Gerüche zum Einsatz. Diese werden im Training und dann erneut in der Nacht über einen kleinen Schlauch in der Nase appliziert, um den Lerneffekt zu unterstützen. Die Patientinnen und Patienten verbringen dazu drei aufeinanderfolgende Nächte im Spital.
An der klinischen und der Grundlagenforschung des Projektes StimuLOOP ist neben dem Universitätsspital Zürich und der Universität Zürich auch das Universitäts-Kinderspital beteiligt. Professor Reto Huber von der Abteilung Entwicklungspädiatrie hat die Schlafinterventionen entwickelt. Wichtige Beiträge zum Projekt leistet zudem die ETH Zürich mit den Teams um Roger Gassert, Professor für Rehabilitationstechnik, sowie Professor William Taylor vom Institut für Biomechanik. Am Ganglabor der ETH wird unter anderem ein Teil der Messungen durchgeführt. Zudem wird die ETH mit dem Team von Professorin Julia Vogt das Datenmanagement übernehmen.
Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gesucht: Die Gesamtdauer der Studie, die unter dem Namen «Präzise sensomotorische Neurorehabilitation durch personalisierte Stimulationsschleifen» läuft, ist auf vier Jahre angelegt und ist von September 2022 bis Dezember 2026 geplant. Gesucht werden Patientinnen und Patienten, die an Morbus Parkinson erkrankt sind oder einen Schlaganfall erlitten haben und deren Diagnose nicht länger als 6 Monate zurückliegt. Sie sollen Einschränkungen ihrer Gehfähigkeiten haben, aber in der Lage sein, ohne Hilfsperson zu stehen und einige Schritte zu gehen. Die Probanden werden bei der stationären Aufnahme in der Klinik «cereneo» sorgfältig von einer Ärztin oder einem Arzt untersucht und befragt. Die Studiendauer beträgt 29 Tage.
Interessiert? Kontaktieren Sie Prof. Dr. med. Andreas Luft.
Hören
Andreas Luft
«Mein grosses Ziel ist es, den Patienten neue Therapieformen anbieten zu können»
Prof. Dr. med. Andreas Luft ist Leitender Arzt an der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich, Leiter Stroketeam am Schlaganfallzentrum Zürich und Professor der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich.
Roger Gassert
«Mit Stimulatoren untersuchen wir die Hirnsignale bei Parkinson-Betroffenen»
Prof. Dr. Roger Gassert ist Professor für Rehabilitationstechnik am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich.
Sehen
Virtual Reality im Ganglabor: Die Patientin auf dem Laufband erhält gezieltes Feedback, sodass sie lernt, ihre Bewegungen zu normalisieren.
Service
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Wie erkenne ich einen Schlaganfall?
Symptom-Check FAST
Sprechstunden Schlaganfall und Parkinson:
Schlaganfallzentrum Zürich
Zentrum für Bewegungsstörungen USZ
Schlafstörungen:
Sprechstunde am USZ
Glossar
Ischämischer Schlaganfall:
Ein Blutgefäss im Gehirn ist verstopft und dadurch wird das dahinterliegende Gewebe von der Blutversorgung mehr oder weniger abgeschnitten. Sauerstoff und Zucker stehen nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Hält dieser Zustand länger an, stirbt das unterversorgte Gebiet ab.
Hämorrhagischer Schlaganfall:
Die häufigste Ursache ist Bluthochdruck. Die Blutgefässe werden durch den zu hohen Druck des Blutes auf Dauer überlastet und können einreissen. Geschieht das im Gehirn, kommt es zur Hirnblutung. Die austretende Blutmenge übt mechanischen Druck auf die Umgebung aus. Dabei gehen die umliegenden Nervenzellen kaputt.
Parkinson:
Eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Nervensystems. Rund 15’000 Menschen in der Schweiz leiden daran, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen. Die meisten sind bei der Diagnose über 60 Jahre alt. Wer an Parkinson erkrankt, hat zunehmend Mühe mit alltäglichen Bewegungen wie Gehen, Schreiben oder der Feinmotorik. Obwohl weltweit daran geforscht wird, ist die Ursache von Parkinson nach wie vor unbekannt und eine Heilung noch nicht möglich. Was aber viele nicht wissen: Neue Therapien können die Lebensqualität stark verbessern.
Präzisionsmedizin (früher: personalisierte Medizin):
Jeder Mensch ist anders. Auch die Art und Weise, wie wir krank und wieder gesund werden können, unterscheidet sich. Neben der genetischen Disposition spielen auch Faktoren wie Umwelteinflüsse, Lebensstil, Alter, Geschlecht und allfällige andere Krankheiten eine Rolle. Die Präzisionsmedizin kombiniert genetische Analysen mit anderen Technologien der Molekular- und Zellbiologie, Bildgebung, Computertechnik und Datenanalyse, um eine Fülle von Patientendaten zu generieren und zu analysieren. So wird es möglich, eine wesentlich präzisere Diagnose zu stellen und optimal auf den Patienten zugeschnittene Behandlungen zu finden.
Wer finanziert dieses Projekt mit? (in Mio. CHF)
The LOOP Zurich - Medical Research Center
Vontobel-Stiftung
Die Laufzeit der Projektförderung
dauert von 2021 bis 2026
Credits
Text und Audio: Rebekka Haefeli
Fotos: Frank Brüderli
Universität Zürich: Andreas Luft, Reto Huber
Universitätsspital Zürich: Andreas Luft
Universitäts-Kinderspital Zürich: Reto Huber
ETH Zürich: Roger Gassert, William Taylor
The LOOP Zurich - Medical Research Center: Jens Selige