Dem Tumor auf den Fersen
Das molekulare Profil eines Krebstumors zu bestimmen und damit Patientinnen und Patienten innerhalb kurzer Zeit eine präzis auf sie ausgerichtete Therapie anzubieten, ist das Ziel des Tumor-Profiler-Projekts, an dem sieben Forschungsplattformen beteiligt sind. Erste Ergebnisse sind vielversprechend.
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Prof. Dr. med. Andreas Wicki
Professor für Onkologie an der Universität Zürich und klinischer Leiter des Tumorzentrums am Universitätsspital Zürich
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Die moderne Medizin kann heute vieles, aber eine Diagnose bleibt auch im 21. Jahrhundert gefürchtet: Krebs. Bei einigen Krebsarten bestehen mittlerweile gute Heilungschancen, doch immer noch schlagen viele Therapien nicht an oder nur bei einem Teil der Erkrankten. Deshalb suchen Forschende fieberhaft nach neuen Ansätzen in der Krebsmedizin. Im Tumor-Profiler-Projekt bündeln etwa hundert Forscherinnen und Kliniker der Universität Zürich, der ETH Zürich sowie des Universitätsspitals Basel ihre Kräfte, um neue Wege in der Krebsforschung und -behandlung zu gehen.
Das Profil entschlüsseln
Wie entstehen Krebserkrankungen? Wie verändert die zelluläre Zusammensetzung eines Tumors dessen bösartige Eigenschaften? Diese Fragen sind essenziell – aber schwer zu beantworten. Sie sind entscheidend, um Krebs zu verstehen und um eine dauerhafte Heilung zu gewährleisten. «Klassischerweise wurden Krebserkrankungen immer nach ihrem Ursprungsorgan benannt, also zum Beispiel Lungenkrebs, Brustkrebs oder Darmkrebs. Mittlerweile ist bekannt, dass es sich hierbei nicht nur um eine veraltete, sondern auch um eine nicht immer ganz richtige Sicht der Dinge handelt», sagt Andreas Wicki, Leitender Arzt Onkologie am Universitätsspital Zürich sowie Professor der Universität Zürich und einer der Leiter des Tumor-Profiler-Projekts. Tumoren, die in verschiedenen Organen entstehen, können sich biologisch ähnlicher sein als unterschiedliche Tumorarten aus dem gleichen Organ, so Wicki. «Sowohl die Prognose als auch die Empfindlichkeit der Tumoren hängen nämlich eher von genetischen und molekularen Merkmalen ab.» Diese müssten genau analysiert und der Krebs an seiner Schwachstelle gepackt werden.
Protein als Puzzlestücke
So wollen die Forschenden des Tumor-Profiler-Projekts den Krebs jeder betroffenen Person bis auf Zellebene verstehen. Sieben Forschungsplattformen bündeln dazu ihre Kompetenzen. Mit sich ergänzenden wissenschaftlichen Verfahren analysieren sie Proben von Menschen mit Krebserkrankung – Gewebe, Körperflüssigkeiten, Blut. Untersucht werden zum Beispiel genetische Faktoren wie DNA, RNA und die Proteine der Krebszellen. Proteine sind wichtige Puzzlestücke – sie werden auch als die molekularen Arbeitspferde der Zelle bezeichnet. Ihre korrekte Funktion entscheidet über die Funktionsfähigkeit einer Zelle und damit auch über die eines Individuums. Doch nicht nur Tumorzellen, sondern auch Zellen des Immunsystems sind in die Analysen miteingeschlossen, ebenso die Wirkung von Medikamenten auf die Tumorzellen. Letztlich fahnden die Forschenden nach Biomarkern, die die optimale Therapie für die eine Patientin oder den einen Patienten aufzeigen. Kennt man diese genetischen Fingerabdrücke der Tumorzellen, kann man den Krebs gezielt therapieren. «Unsere Herangehensweise gewährleistet einen noch nie dagewesenen Einblick in die Krebserkrankung jeder einzelnen Person», bilanziert Andreas Wicki. Das gemeinsame Ziel: Aus den gesammelten Analysedaten therapeutische Vorschläge für die behandelnden Onkologinnen und Onkologen ableiten. Das Tumor-Profiler-Projekt schlägt auch vom wissenschaftlichen Vorgehen her einen neuen und nachhaltigen Weg ein: Es setzt auf Big Data, also grosse Datenmengen von vielen Patientinnen und Patienten. Aus Vergleichen und Kombinationen mittels Datenauswertung lassen sich für die Zukunft neue biologische Tumortypen und entsprechende Therapien herauskristallisieren.
Im Gewebe eingebettete Tumorzellen sind in Magenta eingefärbt (Foto: Bodenmiller Lab, Universität Zürich).
Vom Labor zum Krankenbett in nur vier Wochen
Zunächst jedoch wollten die Wissenschaftler in einer Machbarkeitsstudie herausfinden, ob die Zusammenarbeit zwischen den Forschungsplattformen klappt und ob Therapievorschläge innerhalb kurzer Zeit – in nur vier Wochen – in die Versorgung zurückgelangen. Denn: Die Patienten sollen innerhalb nützlicher Frist direkt von den Forschungsresultaten profitieren können.
Das Tumor-Profiler-Projekt startete deshalb vor drei Jahren mit vorerst 240 Patientinnen und Patienten, die an metastasierendem schwarzem Hautkrebs (Melanom), metastasierendem Eierstockkrebs oder an akuter myeloischer Leukämie erkrankt waren. Während der Diagnosestellung wurden den Studienteilnehmenden Proben entnommen. Die empfindlichen Zellen mussten danach in kürzester Zeit auf die sieben Laboratorien verteilt werden. Diese hatten dann zwei Wochen Zeit, die Biopsie-Proben auszuwerten. Logistisch eine grosse Herausforderung!
«Allein aus einer Probe ergeben sich 43'000 einzelne Datenpunkte», erklärt Wicki. Weil kein Mensch diese Datenmenge auswerten kann, kommt der «Leonhard Med Secure Scientific Platform Service» der ETH Zürich ins Spiel. Auf der Leonhard Med-Plattform lassen sich die zusammengetragenen Daten mit Hilfe von Datenexpertinnen und -experten und ihren Algorithmen analysieren. Sie bereiten die Ergebnisse für ein Prä-Tumorboard auf. Dieses Expertengremium wiederum wertet die Daten weiter aus und gibt seine Expertise ans sogenannte molekulare Tumorboard weiter. Es ist das letzte Glied in der Kette. Hier entscheiden die behandelnden Onkologinnen über die konkrete Therapie für ihre Patienten. Eine enorme Leistung: Vom Labor zum Krankenbett in nur vier Wochen.
Vielversprechende Resultate bei Eierstockkrebs, Hautkrebs und Leukämie
Für die 95 Patientinnen und Patienten mit metastasierendem schwarzem Hautkrebs konnten die Forschenden eine positive Bilanz ziehen: Gut ein Drittel der so genannt austherapierten Krebskranken – in diesen Fällen sind die Behandlungsmöglichkeiten erschöpft, es bestehen keine weiteren Therapieoptionen mehr – konnte mit einem individuell abgestimmten Medikamentenmix aufgrund der Forschungsergebnisse geholfen werden. Ihre Tumoren schrumpften.
«Bei den Studienteilnehmerinnen mit metastasierendem Eierstockkrebs lassen die Ergebnisse ebenfalls aufhorchen», sagt Viola Heinzelmann, Professorin an der Universität Basel und Chefärztin Gynäkologische Onkologie am Universitätsspital Basel. Sie leitet das Tumor-Profiler-Teilprojekt zum Eierstockkrebs. Der Krebs in diesem Stadium sei aggressiv, nur 30 Prozent der Patientinnen haben eine Lebenserwartung von fünf Jahren, erklärt Heinzelmann-Schwarz. Einige sprechen gut auf die Platin-Chemotherapie an, die seit den 1990er Jahren als Standard angewandt wird; andere aber weniger oder gar nicht. Letztere haben eine Lebensprognose von nur 24 Monaten, weil alternative Therapien zu wenig erforscht seien und man zu wenig von der Biologie des Karzinoms wisse.
«Bezogen auf die gesamte Kohorte von 81 Patientinnen wurde aufgrund der Forschungsergebnisse in 76 Prozent der Fälle eine Modifikation der bisherigen Therapie vorgeschlagen. Bei den Patientinnen, die nicht auf Platin ansprechen, sogar in 81 Prozent der Fälle», sagt Heinzelmann-Schwarz. Der Beweis, wie stark diese alternative Therapie auch in Realität diesen Patientinnen helfen könnte, und ob das die Therapien der Zukunft werden, das werden die Forschenden in einer demnächst startenden schweizweiten Studie (OV Precision) im Rahmen des Tumor-Profiler-Projekts unter Leitung von Viola Heinzelmann-Schwarz überprüfen.
Für die 23 Patientinnen und Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie, die als austherapiert galten, lässt sich ebenfalls eine positive Bilanz ziehen, sagt Privatdozent Alexandre Theocharides von der Universität Zürich, Leiter des Tumor-Profiler-Projekts zur Leukämie. «Mittels Pharmakoskopie – dem Arzneimittel-Screening an einzelnen Krebszellen in Echtzeit – konnte einerseits bestätigt werden, dass die isolierten Tumorzellen auf bestimmte Medikamente gar nicht ansprechen, und andererseits konnten wir Medikamente identifizieren, die eine Wirksamkeit gegen die Tumorzellen zeigen.»
Die genauen Ergebnisse der Studien werden ab Anfang 2023 in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht, das Setup wurde bereits 2021 in der renommierten Zeitschrift Cancer Cell publiziert.
Grosse Datenmengen als Trumpf
Nun gilt es in einem nächsten Schritt, mit einer grösseren Gruppe von Patientinnen und Patienten fortzufahren. «Mittelfristig möchten wir die Tumorproben möglichst vieler Patienten umfassend analysieren», sagt Bernd Bodenmiller, Professor für Quantitative Biomedizin an der Universität Zürich sowie Professor der ETH Zürich. «Aus dem riesigen Datenmeer können wir mit neuen Technologien beispielsweise neue Biomarker identifizieren.» Das Ziel: Massgeschneiderte Behandlungen, die auf die Eigenschaften des einen Tumors abzielen. Das Forschungskonsortium baut eine Präzisions-Onkologie-Plattform auf, mit dem Ziel, die klinischen und diagnostischen Daten in strukturierter Form zur Verfügung zu stellen.
So wird man in Zukunft wohl nicht mehr von Brust-, Lungen-, oder Darmkrebs sprechen, sondern von molekularen Tumortypen, die gezielt auf Zellebene bekämpft werden können.
Weshalb es in der Krebsforschung mehr Präzisionsmedizin braucht, erklärt Andreas Wicki im Interview mit der Krankenversicherung CSS
Bernd Bodenmiller ist Direktor des Instituts für Quantitative Biomedizin an der Universität Zürich und Professor im Department Biologie der ETH Zürich. Er ist zudem Leiter von zwei der sieben Forschungsplattformen, die Patientenproben auswerten.
Das Tumorökosystem verstehen
Herr Bodenmiller, was genau untersuchen Sie, sobald Sie die Proben aus Biopsien erhalten?
Bodenmiller: Die Gewebeschnitte enthalten Tumorzellen, Immunzellen und andere Zellen, so wie sie auch im Körper der Patientin oder des Patienten vorkommen. Die Proben werden in unserem Labor analysiert, die Daten mittels Algorithmen ausgewertet. Wir haben eine einzigartige Methode entwickelt, mit der wir Dutzende von Markern gleichzeitig im Gewebe anschauen und visualisieren können. Wir schauen uns Immunzelle und Tumorzelle an und sehen, wie sie räumlich agieren und potenziell kommunizieren. So bekommen wir ein umfassendes Bild vom Zustand des Tumors. Wir erkennen sozusagen das Tumorökosystem und Möglichkeiten, dessen Funktion mit Medikamenten zu stören.
Können Sie auch voraussagen, wie der Tumor auf eine Therapie reagieren wird?
Bodenmiller: Mit dem umfassenden Bild vom Tumor können wir abschätzen, ob eine Patientin oder ein Patient gut auf eine bisher bekannte Therapie anspricht. Bei den Patienten, bei denen die Standardtherapien erschöpft sind, war es für die Onkologinnen und Onkologen oftmals schwierig, weitere wirkungsvolle Therapien zu identifizieren. Gerade diese austherapierten Patienten konnten vom Tumor Profiler profitieren.
Testen Sie auch, wie Medikamente auf die Tumorzellen wirken?
Bodenmiller: Ja. Es gibt in der Schweiz ca. 180 von Swissmedic zugelassene Krebsmedikamente, ca. 60 davon werden regelmässig eingesetzt. Zwei weitere Forschungsplattformen des Tumor-Profiler-Projekts arbeiten mit diesen bekannten Medikamenten oder mit einem Medikamentenmix und testen ex-vivo, wie Tumorzellen auf sie reagieren. Es geht darum zu verstehen, welche Prozesse in der Zelle von welchen Medikamenten beeinflusst werden.
Hören
Andreas Wicki
«Pro Tumorprobe erheben und analysieren wir 43'000 Datenpunkte»
Prof. Dr. med. Andreas Wicki ist Professor für Onkologie an der Universität Zürich und klinischer Leiter des Tumorzentrums am Universitätsspital Zürich. Seit 2016 leitet er das Tumorprofiler Center Zürich.
Bernd Bodenmiller
«Ich finde es faszinierend, wie die Zellen in einem Tumorgewebe eine Art Mikroorganismus bilden»
Prof. Dr. Bernd Bodenmiller ist Professor für Quantitative Biomedizin an der Universität Zürich und an der ETH Zürich.
Viola Heinzelmann-Schwarz
«Etwa drei Viertel der Patientinnen würden wir aufgrund der Zellanalysen anders therapieren»
Prof. Dr. med. Viola Heinzelmann-Schwarz ist Chefärztin Gynäkologische Onkologie am Universitätsspital Basel und Professorin an der Universität Basel. Sie leitet beim Tumorprofiler Center das Teilprojekt zum Eierstockkrebs.
Laura Boos
«Wissenschaftliche Fortschritte können wir sogleich im klinischen Alltag umsetzen»
Dr. med. Laura Boos ist Assistenzärztin Onkologie am Universitätsspital Zürich und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich.
Service
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Übersicht aller laufenden onkologischen Studien der universitären Spitäler Zürich: Krebsstudien Zürich
Glossar
Akute myeloische Leukämie:
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine bösartige Krebserkrankung des blutbildenden Systems. Betroffen sind die Blutstammzellen von diversen weissen sowie den roten Blutkörperchen und Blutplättchen. Die Blutkrebs-Stammzellen vermehren sich massiv, breiten sich in Knochenmark und Blut aus und können weitere Organe befallen.
Big Data:
Big Data umschreibt die Auswertung grosser Datenmengen aus unterschiedlichsten Quellen. Daten spielen sowohl in der Forschung als auch in wirtschaftlichen Anwendungen eine immer bedeutendere Rolle.
Biopsie:
Bei einer Biopsie entnimmt medizinisches Fachpersonal eine Gewebeprobe aus einem auffällig veränderten Gewebe.
Ex-vivo:
Beschreibt Abläufe, bei denen entnommenes Gewebe isoliert im Labor untersucht wird.
Präzisionsmedizin (früher: personalisierte Medizin):
Jeder Mensch ist anders. Auch die Art und Weise, wie wir krank und wieder gesund werden können, unterscheidet sich. Schon bisher waren in der Medizin individuelle Merkmale wie das Alter, das Geschlecht oder vorbestehende Krankheiten bei der Behandlung wichtig zu berücksichtigen. Die Präzisionsmedizin bezieht neu zusätzlich unter anderem umfangreiche genetische und molekulare Daten sowie etwa Informationen aus der Bildgebung mit ein. Dabei werden modernste medizinische Technologien und Werkzeuge der Datenanalyse genutzt. So wird es möglich, eine wesentlich präzisere Diagnose zu stellen und optimal auf die Patientin oder den Patienten zugeschnittene Behandlungen zu finden.
RNA:
Die Ribonukleinsäure (engl. Ribonucleic acid) ist ein Molekül, das in jeder Zelle eines Lebewesens vorkommt. Die RNA transportiert und übersetzt Informationen, die in der DNA gespeichert sind.
Credits
Text und Audio: Marita Fuchs, Rebekka Haefeli
Fotos: Frank Brüderli
Universität Zürich: Andreas Wicki, Laura Boos, Bernd Bodenmiller
ETH Zürich: Bernd Bodenmiller
Universitätsspital Basel: Viola Heinzelmann-Schwarz